Ein Thema mit dem sich viele Menschen nicht gern beschäftigen ist der Tod. Spätestens wenn man direkt betroffen ist, weil Angehörige gehen, rückt es näher. Und dann muss man damit umgehen. Es gibt Menschen, die helfen mit Trauerbegleitung dabei.

Ich komme gerade aus der Marienkirche, wo ich jetzt schon zum dritten Mal die „Öffnung des Lebensbuches“ musikalisch begleiten durfte. Das ist eine Andacht des Malteser Hilfsdienstes Cottbus in ihrer Arbeit als Trauerbegleitung, bei der trauernde Menschen die Möglichkeit haben, Verstorbene in ein dickes Buch einzutragen oder darin zu lesen. Umrahmt wird das ganze durch Gedichte, Gedanken, Predigten und Musik.

Erfüllt von diesem Erleben

Was mich so berührt: Das Thema Tod ist hier präsent und gewollt. Es wird nicht verdrängt. Es ist ein beachteter Teil unseres Daseins und findet hier Raum und Menschen die füreinander da sind. Michael Doll ist so ein warmherziger Mensch und so wertschätzend mir und meiner Musik gegenüber. Ich fühle mich bei ihm und mit allen, die an diesem Projekt beteiligt sind (die ich schon kennen lernen durfte) so wohl und gesehen.

Leider ist Michael gerade in den Ruhestand gegangen, aber seine Stelle übernimmt jetzt Christiane, die ebenso wie Michael für die Sache mit ganzem Herzen steht und ganz viel Herzenswärme ausstrahlt. Und meine Freundin Antje, die Malerin, ist auch ein Teil dieser Gruppe, die sich in der Trauerbegleitung für trauernde Menschen da ist. Bei ihr im Atelier habe ich Michael kennen gelernt und es hat menschlich sofort gepasst. Ich habe gerade nochmal unsere ersten Mails gelesen, lach. Da schwingt schon so eine wunderbare Achtsamkeit mit. Ich bin so dankbar, dass ich ein Teil dieser Arbeit werden durfte und sie sind mir dankbar für meine Musik. Ein wunderbares Nehmen und Geben

Eine Stunde Stille und Mitgefühl

Während der Stunde in der das Lebensbuch geöffnet wird, gibt es viele stille ruhige Momente. Ich mag das sehr. Ich spüre meinen Gedanken nach, fühle aber auch die Traurigkeit die im Raum liegt. Und die Ruhe, die die Mitglieder der Malteser und vor allem Michael mitbringen. Eine wohltuende Selbstverständlichkeit und eine anteilnehmende, aber nicht vereinnahmende Präsenz. Ich genieße es, selbst in die Stille zu gehen, meine Gedanken kommen und gehen zu lassen. Die Menschen, die hier sind zu beobachten. Und meine Lieder in diese Stille ganz vorsichtig hineinzusingen.

Es ist schön zu beobachten, wie Antje und Christiane das Lebensbuch holen und voller Andacht auf den Altar legen. Wie Michael die Klangschale anschlägt, deren Klang sich so lange und so zart durch die Marienkirche trägt, dass ich das Gefühl habe sie hört gar nicht mehr auf zu schwingen. Überhaupt bin ich gern in dieser Kirche. Was sonst selten der Fall ist. Kirchen haben für mich oft auch etwas Bedrohliches. In vielen schwingen Energien mit, die sich nicht so gut für mich anfühlen. In der Marienkirche bin ich entspannt und fühl mich gut.

Trauerbegleitung ist ein Geschenk

Selbstgefertigte GeschenkeJedes Mal bringen Michael und sein Team selbstgefertigte kleine Geschenke mit, um sie an die Anwesenden  zu verteilen. Heute sind es kleine Sanduhren und der ausgedruckte Text von meinem Lied „Jetzt“. Ich darf auch eins mitnehmen und ich entscheide mich für eine Sanduhr mit 5 Minuten Laufzeit.

Schon zweimal wurden Texte meiner Lieder bei der Andacht der Trauerbegleitung auch zitiert und ich lausche jedes Mal und fühle so viel Anerkennung darin, dass es ganz komisch schön ist. Es macht etwas mit mir, meinen eigenen Worten zuzuhören, wenn andere sie vorlesen. Bin selbst ganz erstaunt wie sie wirken können und freue mich, dass meine Inhalte so passend für diesen Anlass genutzt werden wollen. Michael und sein Team machen sich im Vorfeld immer viele schöne Gedanken um den Ablauf der Zeremonie und welches zentrale Thema jeweils im Vordergrund stehen soll.

Bei manchen Liedern die ich selbst aussuchen darf, um sie zu singen, frage ich mich, ob es besser wäre positive, drüber hinwegtragende Lieder zu singen oder die ganz traurigen? Ich folge dann einfach meinem Gefühl und bis jetzt war es immer passend.

Nach den Rezitationen, meinem Gesang und der Klangschale ist die Zeit, in der jeder zum Lebensbuch gehen und etwas eintragen kann. Manchmal dauert es etwas, bis jemand aufsteht. Aber nie ist da Ungeduld im Raum. Alles darf dauern, bis man bereit ist. Und wenn ich mich hineinfühle, dann ist es auch nicht leicht, finde ich, in seiner Trauer „die Bühne“ zu betreten. Sich zu offenbaren mit seinem Schmerz und nach vorn zu kommen. Da zu stehen und zu wissen, ein sehr persönlicher Teil seines derzeitigen Lebens wird sichtbar. Die Verletzlichkeit durch den Verlust.

Von der Seele schreiben

Dennoch kommt einer oder eine nach dem/der anderen vor. Werden von Michael empfangen und liebevoll begrüßt und dann dürfen sie schreiben. So lange sie brauchen. Das ist so eine Wohltat. Es gibt keinen der drängelt, auf die Uhr schaut, nervös guckt. Michael steht neben den Schreibenden. Wie ein Freund. Es ist so ein schönes Bild. Ich möchte es gern festhalten und fotografieren. Aber ich mache es nicht. Hab zu viel Achtung vor dem Moment und der Sensibilität, die in der Situation liegt. Behalte es nur in mir gespeichert.

Ich überlege in dem Moment, wo gibt es das noch? Ich empfinde die Kirche in diesem Augenblick als einen geschützten Ort, in dem die Zeit keine Rolle spielt, wo der Lärm des Tagesgeschehens draußen bleibt und man ganz bei sich ankommen kann, seinen Schmerz zeigen darf, aber mit nichts bedrängt wird.

Meistens geht es doch darum, andere nicht warten zu lassen. Sich zu beeilen, kostbare Zeit zu  sparen. Oder der nächste Termin wartet. Tja… wer jemanden verloren hat, denkt plötzlich ganz anders darüber nach. Über die Zeit und wie man sie erleben und nutzen sollte. Was ist wirklich wichtig? Was wird wichtig im Angesicht des Todes?

Einfach da sein dürfen mit all seiner Trauer

Und hier, viermal im Jahr, an einem Freitag ab 16.00 Uhr in der Marienkirche wird einfach Zeit und Stille verschenkt. Aus vollem Herzen. Hin und wiederClara in der Kirche unterbrochen durch tröstende Worte, hilfreiche Gedanken und einfach da sein. Ich genieße diese Momente und mir wird bewusst, dass man diese Stille aber auch aushalten können muss. Denn sie holt Gedanken hervor, die schmerzhaft sind und die Tränen steigen auf. Hier ist das in Ordnung. Es gibt kein übertriebenes Mitleid, kein wegdrücken der Situation, es darf sein. Aber man muss es sich auch selbst erlauben.

Mittendrin bin ich so berührt von diesem wertvollen Zustand und von der spürbaren Dankbarkeit der Anwesenden, dass mir auch die Tränen kommen. Ich frage mich, wie wird es mir gehen…wenn…  was werde ich hineinschreiben…?

Dankbarkeit überall

Heute sitzt in den Reihen ein älterer Herr, der aufmerksam zuhört, sogar Fotos macht. Am Ende der Stunde sagt er einfach ein von Herzen kommendes lautes Danke in die Kirche. Und dieses Danke trägt sich in unsere Herzen. Michael erzählt, dass er die Familie und seine Frau in den letzten Tagen begleiten durfte. Dass sie als Familie viele Situationen um das Sterben nicht handhaben konnten und dass er dort helfen konnte.

In der Vorsorgevollmacht die ich letztens mit meinen Eltern ausgefüllt habe, steht die Frage ob ein Hospizdienst eventuell kommen soll, wenn es mal soweit ist. Ich hatte es meinen Eltern empfohlen, ohne zu wissen wohin ich mich dann wende. Jetzt weiß ich, wen ich gern fragen würde. Michael.

Ich frage ihn jedoch erstmal etwas anderes. Ob es dafür eine Ausbildung gibt und er erzählt, dass man die bei den Maltesern in 8 Einheiten machen könne. In mir öffnet sich einen Spalt breit eine Tür. Ich hatte noch nie wirklich darüber nachgedacht, aber irgendwas in mir erwacht. Ich werde mal näher hineinspüren was das bedeutet und ob ich ein Teil dieser Arbeit sein möchte.

Geben und Nehmen

Clara in der MarienkircheNach der Trauerstunde kommt der ältere Herr zu mir, schaut mich an und sagt: „Es ist angekommen! Danke! So wenige Worte und so viel was er mir damit schenkt. Ich bin dankbar. Nicht dafür, dass er es gut fand. Sondern dass ich etwas geben konnte. Dass er es angenommen hat. Eine andere Dame sucht auch das Gespräch mit mir um mir zu sagen wie schön meine Musik sei. Und ich staune immer wieder, dass ich so gehört werde, trotzdem die Trauer ja einen großen Raum in den Menschen einnimmt. Ich erwarte in diesen Stunden kein Feedback, hier geht es nicht um mich, sondern um das Thema. Um diese Stunde zu der ich etwas beigebe. Und dennoch bekomme ich direktes Feedback. Das ist unheimlich schön und berührend.

Immer wenn ich nach so einer Veranstaltung nach Hause fahre, bin ich so beseelt. Von denen die das organisieren und die Trauerbegleitung als etwas Positives leben. Von der Atmosphäre, der Herzensgüte, der Natürlichkeit und Unbefangenheit in der sich hier begegnet wird. Und ich bin stolz ein Teil davon sein zu dürfen.

Hier ein Video von vor einem Jahr, als LTV einen Beitrag über die Trauerbegleitung der Malteser und die Lebensbuch Andacht gedreht hat.
Da konnte ich filmen, weil die wirklich Andacht erst zwei Tage später stattfand.