Wir reden nicht gern drüber, denken nicht gern an ihn
und doch… er ist allgegenwärtig
und in meinem Leben gerade doch sehr oft präsent.

Der Tod.

Erst im Februar, genau am Tag einer Geburtstagsfeier in der Familie kam die Nachricht, dass ein lieber Mensch aus unserer Familie eingeschlafen ist. Jetzt wieder. Und letzte Woche war ich dann das erste Mal bei einer Wohnungsauflösung dabei.

Ich mag erste Male… aber nicht solche

Ich hatte ein wenig Angst was es mit mir macht. Und es war wirklich eigenartig, mich zu beobachten. Zuerst einmal war da dieses Bewusstsein darüber, dass wir in ein nicht mehr lebendiges Leben eindringen. Also in das was materiell noch davon da ist. Ohne dass die Person, der alles gehört, dabei ist. Das ist schon sehr befremdlich und fühlt sich nicht so ganz richtig an. Als würde man unerlaubt in privaten Dingen rumschnüffeln, die einen nichts angehen.

Nichts bleibt unentdeckt

Auf der anderen Seite muss ja alles „aufgelöst“ werden. Und da bleibt keine Schublade verschlossen. Alles wird aufgemacht, rausgeholt, entdeckt, auseinander genommen. Manches wirft Fragen auf, anderes bringt zum Nachdenken, einiges war sicher nicht für fremde Augen bestimmt. Es ist nur eine Einraumwohnung und doch erfahre ich so viel über die Person, die einmal darin wohnte. Mehr als nur durch das was man sonst miteinander geteilt und ausgetauscht hat.

Alles wird durchleuchtetWas liegt in meinen Schubladen so rum?

Ich frage mich im Zuge dieses Erlebnisses, was sagt mein Wohnungsinhalt über mich aus? Worauf lassen die Dinge, die ich im Fall meines Todes hinterlasse, schließen? Und… wer wird das alles mal sichten und ausräumen? Da ich keine Kinder habe, bleibt im Moment nur mein Stieftöchterchen. Die Arme. Zu Hause reden mein Schatz und ich darüber, wie es mal sein soll, sollten wir beide eventuell zur gleichen Zeit gehen bzw. nicht zurückkommen. Wir sollten einen Umschlag mit Geld hinterlegen, damit sie einen Entrümpelungsservice bestellen kann, der dann diese Wohnungsauflösung erldigt, damit sie sich damit nicht beschäftigen muss. Vieles was wir haben ist doch für andere völlig wertlos. Und mir selbst ist egal was mit all meinen Dingen passiert. Jedenfalls wenn ich jetzt so pragmatisch darüber nachdenke.

Vorsorge treffen, Szenarien durchgehen…

Als sie uns besucht, spinnen wir weiter und kommen auf die Idee, sie könnte es in den sozialen Medien posten und eine Art Tag der offenen Tür machen, wo Menschen einfach kommen und sich mitnehmen können was sie möchten. Das wär doch cool, so bekommen Dinge einen neuen Sinn. Ich mag sowieso die Idee, dass Dinge durch mehrere Leben wandern. Was könnten die wohl für Geschichten erzählen. In unserem Wohnraum befinden sich einige Sachen, die schon bei anderen Menschen gewohnt haben, die nicht mehr leben.

Notwendiges erledigen

Zurück zur Wohnung in der ich gerade an dieser Stelle bin. Alles soll geräumt werden. Heißt, alles raus aus den Schränken, rein in Boxen, Tüten und Körbe. Ich hab erstmal Hemmungen. Schau mich um. Ich soll mitnehmen was ich möchte. Mhh…Dann fang ich an und verfalle in ein pragmatisches Räumen. Ich mag aufräumen, sortieren, Ordnung schaffen. Zu Hause verliere ich mich gern darin. Hier für eine Weile auch.

Realitäten annehmen

Doch es schwingt eine große Traurigkeit mit, eine Unfassbarkeit der Situation, dass ein so junger Mensch aus unserem Familienkreis hier in ihrem Bett eingeschlafen ist und nicht mehr aufwachen wird. Ich denke an sie. Weihnachten haben wir uns zum letzten Mal gesehen. Und ich denke, dass wir uns viel zu selten gesehen und Zeit miteinander verbracht haben.

Hin und hergerissen zwischen Schwermut und Pragmatismus mache ich weiter. Sortiere ein und aus. Finde Dinge, die ich gern mitnehmen möchte und schwanke zwischen, ja nehm ich und nein will ich nicht haben. Denn ich will lieber, dass sie noch da ist. Das Materielle ist wertlos gegenüber dem was jetzt fehlt.

Mitnehmen oder nicht

Und dann kommt wieder der Verstand, der sagt: Naja aber man muss es ja nicht wegwerfen. Die Dinge können ja noch genutzt werden. Ich will nichts haben, aber ja ich kann vieles gebrauchen. Manchmal schäme ich mich, dass ich in dieser Situation Dinge sehe und finde, die ich einpacken möchte, weil sie einen Zweck in meinem Leben erfüllen würden. Dann halte ich kurz inne und frage mich, was passiert da gerade in mir? Es ist wie ein Switchen zwischen dem Ego, was Gründe findet die Dinge haben und nutzen zu wollen und dem Herz welches gar nichts davon wertvoll findet, weil der Preis dafür viel zu hoch war.

Beobachtungen

Ich beobachte mich und lerne neue Seiten an mir kennen. Ich bin zutiefst betroffen und dann einfach wieder in Action als wär da kein trauriger Hintergrund, sondern nur die Aufgabe, hier klar Schiff zu machen. Bis mir wieder einfällt, warum wir das hier machen (müssen).

Ich sehe die Anderen. Und erahne den Schmerz den sie wohl fühlen. Ihre Mama und deren Partner, eine enge Vertraute und deren Freundin. Jeder versucht, die Situation zu bewältigen und jeder tut und kann es nur auf seine ganz eigene Weise. Der eine geht in die Aktion und stürzt sich in das was gemacht werden muss und um da durch zu kommen, der andere ist kaum fähig etwas zu denken und zu tun vor Trauer, ein anderer Mensch fühlt sich nutzlos weil er nicht weiß, was er tun soll. Der eine will stark sein und nicht ständig weinen, aber es bricht doch immer wieder heraus. Der andere lässt die Tränen fliessen und kann nicht aufhören, ein anderer muss raus und sucht Abstand zu der Situation. Ich sehe es, fühle mit und versuche immer wieder zu mir zurück zu kommen. Wir bewegen uns emotional zwischen Verantwortlichkeit, tiefer Traurigkeit, Hilflosigkeit, Durchhaltenwollen und ganz normalen Gesprächen. Diese handeln von dem was noch offen ist und wir nie erfahren werden, von Erinnerungen, von dem was hier alles noch erledigt werden muss. Mir wird bewusst, wie verzweigt ein Leben ist. Wohin überall Spuren führen und wo überall welche bleiben. Familie, Partner und Angehörige, Freunde, Kollegen, Nachbarn… Wieviel unerledigt bleibt, unausgesprochen. Ich erlebe hautnah: Der Tod ist das Ende eines anderen Lebens, doch das eigene Leben geht einfach so weiter.

Was ist wirklich?

Ich frage mich immer wieder: Ist der Tod wirklich das Ende? Wo ist M. jetzt? Ist sie irgendwo in der Nähe, also ihre Seele? Steht bzw. schwebt sie vielleicht gerade im Türrahmen und schaut uns zu? Wie findet sie das? Sagt sie: Ist ja interessant wie Ihr Euch auf meine Sachen stürzt! Oder: Ach klar, macht mal, macht doch Sinn, ich kann ja eh nix mitnehmen.
Ich sag hin und wieder innerlich: Sorry M.! Dass wir hier so eindringen in Dein Reich. Dass wir alles auseinander nehmen. Es sieht manchmal bestimmt respektlos aus. Tut mir leid!

Engel MariaIch räume den Kleiderschrank aus. Ich nehme jedes Teil einzeln raus, stell mir vor, wie sie darin aussah. Welches war eigentlich das Kleid, das sie auf unserer Hochzeit getragen hat? Sie passte damit so sehr zu unserer Hippie Party. Ihre Mama reicht mir ein Bild von diesem Tag. Sie hatte Blumen ins Haar geflochten, das Licht ließ sie wie einen Engel scheinen. Und nun.. ist sie vielleicht einer. Mir kommen die Tränen. Ich schwebe zwischen dem schmerzlichen Gefühl der Endlichkeit und dem hoffnungsvollen Gefühl und der Ungewissheit darüber, ob es nicht danach irgendwo weitergeht. Dass wir hier nur trauern weil uns etwas fehlt. Dem, der gegangen ist, könnte es ja gerade richtig gut gehen?

Erinnerungen

Ich soll mir Sachen aussuchen. Ja sie könnten mir passen. Wie fühlt sich das an? Die Vorstellung ihre Kleider zu tragen? Es macht erstaunlicherweise nichts Negatives mit mir. Ich nehme am Ende des Tages ihre Sachen mit und probiere alles am nächsten Tag zu Hause an. Immer wieder stell ich mir vor wie sie darin ausgesehen hat und sehe mich, wie ich darin aussehe. Einiges davon hätte ich nie selbst gekauft, aber ich habe das Gefühl, M. schenkt mir etwas von ihrem Stil den ich sehr mochte. Letztes Weihnachten habe ich ein paar Fotos von ihr gemacht als sie im Kerzenlicht am Tisch saß. Sie wirkte so elegant, so wunderschön, dass ich sie in dieser Schönheit einfach festhalten wollte.

Inzwischen trage ich immer wieder etwas von ihr, spüre rein und muss sagen, ich mag es. Nicht die Tatsache, dass ich tolle Klamotten bekommen habe. Sondern dass ich beim Tragen an sie denke in einer sehr verbindenden, positiv erinnernden Art. Eine schöne Erfahrung.

Wie mit dem Tod umgehen?

Ich versuche seit diesem Tag auch immer wieder Gedanken und Empfindungen in mein Erleben zu integrieren, die nicht dramatisieren und in Verzweiflung über den Tod ausarten. Sondern in Akzeptanz darüber, dass wir alle irgendwann gehen. Ob früher oder später. Wir wissen nicht wann, und auch nicht wohin. Das schließt traurig sein nicht aus, aber sie hat dann nicht so eine große Macht über mich, so dass ich nicht mehr aus der Trauer heraus komme. Denke ich jetzt. Ob ich es immer so betrachten kann, weiß ich nicht.

Gibt es ein Leben danach?

Vielleicht ist das Spiel hier nicht zu Ende. Nur ein Kapitel des Lebens hier auf der Erde. Ja ich möchte daran glauben, dass es nach dem Tod irgendwie, irgendwo anders weitergeht. Beweisen dass es so ist, können wir nicht, aber ich möchte es für möglich halten. Damit fühl ich mich besser.
Und wer weiß, wenn Dinge durch viele Leben wandern, vielleicht kommen sie irgendwann wieder bei ihrem ersten Besitzer an? Die Vorstellung hat etwas Magisches.

Hier eine Songidee… sie ist noch nicht fertig aufgenommen, aber man kann erahnen was ich sagen will: Wir sehn uns wieder

Sie ist weg und doch da

Zwie kleine Kakteen von M.Bei uns verweilen nun ein paar Kerzenlichter von M. in der Galerie Bühne, ein Spiegel von ihr hängt dort, wo schon lange einer hängen sollte. Ich habe ein kleine süße Kuchenbackform und eine Brotbackform, eine Thermoskanne, eine Spülbürste bei deren Nutzung ich an M. denke. Eine kleine Bose Box begleitet mich jetzt auf Reisen zum Musikhören und neben meinem Schreibtisch stehen zwei kleine Kakteen am Fenster.
Ich überlege, ob ich zu ihrer Trauerfeier ein Kleid von ihr trage. Wäre das geschmacklos? Aber irgendwas in mir kam auf die Idee. Es wird eine Baumbestattung und irgendwie seh ich mich da in ihrem Kleid. Mmh.. muss ich nochmal durchfühlen.

Auf jeden Fall weiß ich wieder einmal mehr, wie wichtig es ist, jetzt zu Lebzeiten Zeit mit denen zu verbringen, die uns wichtig sind. Bei M. habe ich es versäumt. Ich habe es verpasst mehr von ihr persönlich zu erfahren als aus den Dingen die sie hinterlassen hat.

Vergangenheit und Zukunft – und das Wichtigste: Jetzt

Dieser Akt der Wohnungsauflösung war für mich ein sehr ehrenvoller, auch wenn ich da ganz schön reingestolpert bin und das erst jetzt im Nachhinein für mich erkannt habe. Wenn es wieder einmal notwendig wird, so etwas zu tun, dann werde ich ganz achtsam in diese Situation hineingehen. Ich werde versuchen es so zu gestalten, dass (wenn es das gibt) die Seele die mir dabei zuschaut sich auch wohlfühlt und das Gefühl hat, dass das was aus ihrem Leben übrig geblieben ist nur aufgeräumt und in eine neue Ordnung gebracht wird.

Während ich das hier schreibe, sitze ich auf der Couch einer Ferienwohnung in der ich für 4 Tage mit meinen Eltern bin. Die beiden schauen einen Krimi, ich tippe, sehe sie immer wieder an und bin dankbar für jeden gemeinsamen bewussten Moment.

 

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Kleiner Nachtrag

Nun war ich bei der Beerdigung. Und ja ich hab mich getraut ein Kleid von M. zu tragen. Ich hab mir vorher so einige Gedanken gemacht, dass ich damit auch anecken könnte, weil es bunt ist und nicht schwarz. Aber ich habe mich entschieden, meinem Gefühl zu folgen und meine eigene Überzeugung zu leben. Auch wenn es vielleicht Menschen gibt, die das nicht gut finden könnten. Eine gute Schule für mich, denn ich habe mich lange Zeit angepasst um Konfrontationen zu vermeiden.

Und es fühlte sich gut an. Es gab sogar ein paar Reaktionen, denen ich entnehmen konnte, dass die Menschen selbst darüber nachgedacht hatten, sich nicht in schwarz zu kleiden. Und als ich die Blumen sah, die alle niedergelgt hatten war ich davon überzeugt, dass es so richtig ist, denn die färben ihre Blüten auch nicht schwarz ein, sondern leuchten weiter in ihren gegebenen Farben und dennoch zu Ehren derer die gegangen sind.