
Wenn Familienoberhäupter sterben und wir zu den Oberhäuptern werden
Es gibt Momente in denen die Zeit und der Lauf des Lebens einen so dermaßen einholt, dass es einem schwer ums Herz wird. Wo man mehr und mehr darüber nachdenkt, wie lange man noch mit den Familienältesten zusammen sein darf und wie man diese Zeit miteinander verbringen möchte. Da ist so eine Angst vorm Sterben und gleichzeitig so eine Dankbarkeit für das “Noch da sein”, die einen riesigen Kloß in den Hals pflanzt und während ich schreibe wechseln sich draußen auf Regen und Sonne ab.
Für alle der gleiche Weg
Es ist kein böses Einzelschicksal was da kommt. Es ist was wir alle durchleben werden, denn wir werden alle sterben. Die Natur geht ihrer Bestimmung nach und wir, die ein Teil dieses natürlichen Vorgangs sind, wissen oft nicht damit umzugehen. Ich sehe wie meine Freundinnen Babys bekommen und mir wird bewusst dass wir nachrücken. An die Stelle unserer Eltern. Noch sind wir in einer Zwischenebene, alle sind noch da. Bald wird es anders sein und wir stehen ganz oben. So fühlt sich das also an, wovon die Erwachsenen schon geredet haben als wir noch Kinder waren. Diese Sprüche mit der schnell vergehenden Zeit und so.
Und ich schau gerade bange auf den Moment wo das Dach unserer Familie erneuert wird. Bevor es passiert und bevor man es konfrontiert, ist das Leben der Eltern irgendwie so unantastbar. Die Vorstellung sie könnten nicht mehr da sein existiert einfach nicht. Und dann ab einem bestimmten Bewusstsein darüber stellt sich diese Ahnung und die Traurigkeit ein und man kann sich nicht mal in einem Pool aus besonders schlimmen Erfahrungen baden und sich ein ausserordentliches Mitgefühl anderer erhoffen, weil es jedem mal so gehen wird. Es ist nicht besonders sondern ganz normal und dafür hat dieses Ereignis ein wahnsinniges Schmerzpotenzial.
Ich denke definitiv zu viel an den Moment an dem sie sterben… dabei möchte ich jetzt genießen und dankbar sein dafür dass alles noch richtig gut ist. Viel besser als bei Senioren in dem Pflegeheim, in dem ich gerade gesungen habe.
Es rückt näher
Vor ein paar Tagen ist der Papa meiner liebsten Schulfreundin gestorben. Ich war gerade im Tonstudio um einen Song namens „In Kiekebusch ist Gänsemarkt“ für den sorbischen Rundfunk aufzunehmen als der Aufnahmeleiter mir mein klingelndes Telefon mit dem Wort “Mami” in die Kabine brachte. Ich überlegte kurz, überhaupt ran zu gehen. Tat es und wollte ihr kurz sagen, lass uns später… da sprudelte sie schon los und der Klang ihrer Stimme war mir so bekannt von anderen traurigen Telefonaten. … Wumm… Das hat gesessen…. da stand ich nun und musste für diesen Moment erst mal alles wegschieben und ein fröhliches sorbisches Volksliedchen einträllern.
Seitdem denke ich ständig darüber nach, wie meine Freundin sich jetzt wohl fühlt und versinke in Traurigkeit wenn ich mit ihr mitfühle. Unweigerlich stelle ich mir die Frage, wie ich mich wohl fühlen werde wenn meine Eltern mal sterben…. Es ist der Lauf der Dinge und dennoch bekommen wir es nicht auf die Reihe. Es haut uns um und man kann es nicht hinnehmen, obwohl es zum Leben gehört. Obwohl wir es wissen… wenn es dann soweit ist, ist alles anders.
Und dann ist es da
Es sterben täglich Menschen. Aber erst wenn es in den eigenen Kreis rückt, nimmt man es wirklich wahr. Dann spürt man es ganz direkt. Ich bin in dem Alter wo ich weiß, dass meine Eltern die Generation sind, die biologisch als nächste den Kreislauf verlassen werden. Wie ist das wohl, wenn man in der eigenen Generation um sich herum Freunde gehen sieht und weiß, man ist dieser Situation ganz nah. Kann man unbeschwert weiterleben?
Ich denke jedes Mal, wenn jemand geht, wird man ein Stück ernster. Jedenfalls für einen Weile. Man wird sich der Endlichkeit bewusster und man bekommt Angst. Angst vorm Sterben. Obwohl man selbst es ja dann nicht wirklich merkt. Aber ich mach mir z.B. darüber Gedanken, wie sich andere fühlen wenn ich sterbe. Ich möchte z.B. nicht, dass ich vor meinen Eltern sterbe, damit sie das nicht ertragen müssten. Andersherum hab ich auch Angst davor, aber so hat es die Natur vorgesehen.
Und es geht weiter
Manchmal denke ich darüber nach, was ist wenn mein Mann nicht nach Hause kommt. Was passiert mit mir wenn er stirbt und wir das Leben, was wir gemeinsam erleben wollen, nicht mehr gemeinsam geht. Ich versuche mich in der Neutralität, in der ich mich ja befinde, weil es nur ein Gedanke ist, darauf zu programmieren, dass es dann weitergehen wird. Anders… klar… aber es wird weiter gehen. Wie? Keine Ahnung…. Das Gefühl ist zum Glück auch nicht abrufbar und wahrscheinlich ist es besser so, dass man es nur im Ernstfall durchleben muss.
Jeder Augenblick zählt
Bei meiner Freundin hab ich gerade dass Gefühl, ich fühle mit ihr mit. Weil ich sie lieb habe und es mich bewegt, wenn Freunde sich nicht gut fühlen. Aber wahrscheinlich auch aus Angst, weil es mich auch erwarten wird und ich mich darauf vorbereiten möchte. Und dabei weiß ich genau, dass man sich darauf nicht vorbereiten kann. Eine Bekannte von mir hat sich in der indischen Palmblattbibiliothek sagen lassen, wann ihre Eltern sterben werden.
Ist das gut?…. das zu wissen? Für manche ist es vielleicht gut, damit sie diese Zeit für sich und ihre Familie nutzt. Für mich wäre es nichts, obwohl diese Ungewissheit wieviel Zeit man noch hat auch manchmal schwer ist. Aber ich habe meinen Eltern gesagt dass ich sie liebe, ich verbringe Zeit mit ihnen. Ich schätze jeden Augenblick in dem ich sie habe und bin dankbar dafür, dass ich sie so lange schon bei mir haben durfte. Das kann nicht jeder von sich sagen, von meiner Freundin starb die Mama als sie 16 war.
Beerdigung
Beerdigungen sind ja nicht angenehm, keiner geht gern hin. Dennoch hab ich versucht, ganz bewusst hinein zu gehen. Ohne mich zu sträuben und zu schauen was meine Gefühle mir in jedem Augenblick sagen. Und ich habe gemerkt, dass immer wenn Raum war für meine Gefühle und meine Gedanken, musste ich weinen und immer wenn der Redner da vorn irgendwas erzählte, schwand jegliche Emotionalität. Vielleicht lag es auch an den vielen Floskeln und der Pathetik die vorgetragen wurden. Ich empfand es als künstlich und befremdlich.
Mein Papa saß neben mir. Ich hielt die ganze Zeit seine Hand und war inmitten der Traurigkeit und der Angst vor dem Moment in dem sein Bild da vorn stehen würde einfach nur glücklich, dass er neben mir und für mich berührbar da war. Ich sah meine Freundin und bei dem Gedanken wie sie sich jetzt fühlen mochte musste ich weinen. Und dann widerum weinte ich aus Angst vor dem Weg, den ich auch irgendwann werde gehen müssen… wir alle.
Und wir rücken nach
Plötzlich rückte ich mit meiner Freundin spürbar eine Generation nach oben. Wir waren nicht mehr in der Schule, waren nicht mehr die Jüngsten die in der Obhut der Eltern das Leben als selbstverständlich hinnahmen. Meine Freundin sagte mir, sie fühlte sich plötzlich allein, so als könne sie nicht mehr zurück in diese von den Eltern beschütze Familie. Denn da über ihr ist jetzt nichts mehr. Keiner der auffängt mit Rat und Hilfe. Ab heute steht sie dort an der Stelle, hat ihre Kinder, die ihren Schutz brauchen. Jetzt steht sie ganz oben.
Und die Traurigkeit begleitet
Mir scheint als verkleinerte sich für diese Zeit auf dem Friedhof der Kreis des Lebens und die Endlichkeit unseres jetzigen Daseins ist so nah, dass es weh tut und Angst macht. Ich beobachte die Leute, wie jeder Einzelne diese Situation durchlebt. Ein Bekannter redet viel auf dem Weg zum Grab. Vielleicht ist das gerade seine Ablenkung vom Schmerz. Ich möchte gar nichts sagen, nur in mich horchen. Gerade bekomme ich einen Ahnung, welchen Sinn die Zeit des Trauerns hat. Ich möchte mich einfach nur hineinbegeben in dieses Traurigsein, mich verkriechen und nichts müssen. Es fühlt sich schwer an und doch möchte ich es nicht loswerden, sondern erst mal mit mir mittragen.
Kann man sich darauf vorbereiten?
Der Plan ist noch gemeinsam zum Kaffee trinken zu gehen, wo sich das betretene Schweigen langsam in wärmende Gespräche wandelt. Ich fühl mich hin und hergerissen zwischen Erleichterung und Nochnichtfertigsein mit der Situation. Auf dem Rückweg laufen wir am Friedhof vorbei. Ich frage meinen Papi, ob er eine Vorstellung hat wie es mal sein soll, wenn er beerdigt wird. Es kostet mich Überwindung, doch ich möchte es gern wissen. Ich möchte es gern nach seinen Vorstellungen vorbereiten und ich weiß, dass ich, wenn es soweit sein wird, nicht fähig sein werde, einen klaren Gedanken zu fassen. Er zeigt mir die Stelle, wo er sein Grab gern hätte. An dem Baum dort, wo die Bank steht. Dann kann man da sitzen und einander lauschen.
Ein paar Vorbereitungen
Er erzählt mir auch was meine Mami gern hätte, sie konnte heut nicht dabei sein, liegt selbst im Krankenhaus. Ich frage ihn, ob es okay wäre wenn ich einen Teil von ihm in einem Kristall verewigen würde. Dann könnte ich ihn immer bei mir haben. Er wird drüber nachdenken sagt er und ist überhaupt nicht abgeneigt von der Vorstellung. Es gibt natürlich noch andere Familienmitglieder, die wir fragen müssten. Manch einer braucht einen festen Ort zu dem er kommen kann. Ich denke ich brauche das nicht. Ich hab Dich im Herzen, sage ich ihm. Aber ich werde die anderen fragen. Außerdem möchte ich gern seine Rede schreiben. Ich möchte nicht diese vorgefertigten Worte hören, in die immer nur der jeweilige Lebenslauf des Verstorbenen eingesetzt wird. Ich möchte es aus meiner Sicht, aus der meiner Geschwister und den nächsten Familienmitgliedern wiedergeben, wer er ist.
Kein Tabuthema
Mein Papa ist einverstanden. Bei dem Gedanken könnte ich immerzu weinen und dennoch ist es so schön mit ihm darüber zu reden. Ich bin ihm dankbar, dass das Thema Sterben kein Tabuthema ist, mit dem man dann irgendwann allein dasteht. Er ist jetzt 76, meine Mama 74. Sie könnten gut noch 20 Jahre leben und ich wünsche es mir. Wissen tut es keiner und der Tot vom Papa meiner Freundin macht bewusst, dass es morgen passieren kann. Ich will gern vorbereitet sein und weiß, dass das nicht wirklich geht. Es geht sicher bei einigen Formalitäten. Aber emotional gibt es dafür keinen Kurs, den man absolvieren kann. Die Gefühle werden einen überrollen und man kann nichts tun als entweder verdrängen oder sich dem voll und ganz hingeben und den Schmerz annehmen. Es schmerzt jetzt schon manchmal so sehr dass ich gar nicht weiß was sein wird, wenn es dann Wirklichkeit ist.
Auf dem Heimweg gehe ich noch schnell einkaufen und es fällt mir schwer. Ich hab keine Lust und keine Energie und stelle mir gerade meine Freundin vor, die sich auch nicht einfach hängen lassen kann. Die Kleinen wollen umsorgt sein, es steht ein Umzug bevor, der Nachlass muss geregelt werden. Ich bin froh, dass ich mich gerade nur um mich kümmern darf. Und meine Gedanken schweifen wieder in die Zukunft. Zu dem, was eines Tages an Gefühlen und Erledigungen auf mich zukommen wird.
Was wäre wenn?
Habt Ihr Euch schon mal die Frage gestellt was wäre wenn Ihr noch 1 Jahr zu leben hättet? Vor kurzem ist auch ein guter Bekannter gestorben, er hat mal so etwas gesagt bekommen. Er lebte sehr viel länger als die Prognose besagte und ich kann ihn halt heut nicht mehr fragen. Und dabei hab ich ihn noch vor ein paar Wochen bei einer Vernissage gesehen. Und ich wusste auch, dass er krank ist. Aber so richtig bewusst umgegangen bin damit erst als er nicht mehr da war. Warum wird der Tod, das Sterben immer so verdrängt? Von den meisten Menschen zumindest?
Wie wird es sein?
Ich denke manchmal drüber nach, wie es wäre, wenn ich bald sterben müsste. Ich hab kein schlechtes Gefühl dabei, ich wäre traurig weil ich gern noch mehr erleben möchte. Aber Angst habe ich eigentlich nicht. Ich möchte nur nicht vor meinen Eltern sterben,denn ich wünsche mir, dass sie das nicht erleben müssen. Auch denke ich an die Leute die mich lieben und dann traurig sind wenn ich nicht mehr da bin und das macht mich echt traurig.
Ich habe gerade eine Lektion von Veit Lindau durchgearbeitet. Darin geht es darum, seine Sterblichkeit zu konfrontieren. Es klingt erst komisch, aber wenn man sich drauf einlässt, stelle ich fest dass es mich wirklich auf das Wesentliche fokussiert. Was würdest Du alles nicht mehr tun wenn Du wüsstest dass 2017 Dein letztes Jahr ist? Was würdest Du viel mehr tun? Ich hab viele Antworten aufgeschrieben und die wichtigste Frage am Ende ist: Warum tu ich es nicht? Ich weiß doch gar nicht ob da noch ein 2018 …19 usw. kommt für mich? Vielleicht ist es ja mein letztes Jahr? Man merkt oft bei anderen Menschen wie schnell das Leben vorbei sein kann. Dann wird man für einen Moment aufgerüttelt und denkt drüber nach um am nächsten Tag wieder ins eigene Hamsterrad zu steigen…
Am Ende der Lektion habe ich eine Meditation dazu gemacht die mich tief bewegt hat.
Du Liebe ,
wir haben uns am Samstag in Bad Rothenfelde auf dem ” Erlebnistag Mensch ” kennengelernt.
Ich sehe Dich.
Du berührst meine Seele.
Deine Stimme ist ein himmlisches Geschenk.
Ich hätte Dich auch als “Schlagertussi ” gemocht, aber pur , mit Deinen eigenen Texten …
wunderbar.
Du bist ein Geschenk.
Fühl Dich herzlich umarmt,
Ruth .
Du auch so Liebe… wie schön von Dir zu lesen und vor allem auch was ich von Dir lese berührt wiederum mich! Vielen lieben Dank!
Ja… ich fühle mich sehr gesehen und das ist ein ganz großes Geschenk. Ich danke Dir sehr dafür…. Und wenn das sogar bis zur Schlagertussi reicht.. heyyy… großartig… lach!!!
Ich freue mich Menschen wie Dir zu begegnen, die so wunderbar offen und herzlich feedbacken was sie denken und fühlen und die Arme ausbreiten. Das macht mich total glücklich.
Fühl Dich auch ganz herzlich umarmt und so schön, dass wir uns begegnet sind.